Erste Auswirkungen des demografischen Wandels

Ab 01. Juli 2014 soll in den Niederlanden für die Bootsführerscheininhaber, die älter als 70 Jahre alt sind und die die kleine Lizenz (klein vaarbewijs) besitzen, die fünfjährige ärztliche Untersuchung fortfallen. Man hat festgestellt, dass ältere Menschen auf dem Wasser nicht mehr Unfälle verursachen. Außerdem führe dieser Fortfall zu weniger Verwaltungsaufwand. Ich sehe aber noch einen weiteren Vorteil aus demografischer Sicht: Die Älteren können somit wesentlich länger ihrem Hobby nachgehen! Natürlich gilt dies alles nur für Boote bis 15 m Länge. Außerdem dürfen die Boote nicht schneller als 20 km/h sein. Der niederländische Ministerrat hat dies noch in diesem Frühjahr beschlossen, damit die Führerscheininhaber noch die Saison 2014 genießen können. Wenn schon nicht alle Boote altersgerecht gebaut werden, so führt eine solche Entscheidung in die richtige Richtung.


 

WASSERSPORT UND HÖHERES  LEBENSALTER  - unvereinbar ?

 

Glaubt man manchen Autoren in den verschiedenen Fachzeitschriften zum Wassersport, so könnte man glauben, dass die abnehmenden Zahlen in den Wassersportvereinen auf unzureichende Öffentlichkeitsarbeit im Wassersport oder auf nicht mehr ganz zeitgemäße Vereinssatzungen zurück zu führen sind. Der wahre Grund dieses Problems wird kaum oder gar nicht angesprochen: Die Folgen des demografischen Wandels!

 

Obwohl natürlich u.a. das Tauchen, der Wasserski oder das Angeln ebenso Wassersportarten sind, soll im Folgenden der Bootssport angesprochen werden.

 

Wir werden älter, weniger und bunter! Das ist eine Tatsache, und eine Umkehr ist eher unwahrscheinlich! Die Frage ist nur; wie wir vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis Konzepte entwickeln, um dem demografischen Wandel zu begegnen; um ihn gestalten zu können.

 

 

Nicht nur Wassersportvereine haben Probleme mit dem Nachwuchs, sondern alle Vereine, und nicht nur die, auch zunehmend die meisten Arbeitgeber. Aber bleiben wir beim Wassersport. Sowohl auf der boot in Düsseldorf im Januar 2013 als auch auf der 5. Regionalkonferenz der MAGDEBOOT im März 2013 war der demografische Faktor im Wassersport ein wichtiges Thema.

 

Auf beiden Veranstaltungen wurde klar formuliert, dass wir alle älter werden, so natürlich auch die Bootseigner und die anderen Wassersportler. Alle Altersgruppen besitzen verschiedene Anforderungen an die Umwelt und die Bedürfnisse sind somit sehr unterschiedlich. Während es bei den Jüngeren, hierzu zähle ich vor allem die 20- bis 40-jährigen, noch um Design und Schnelligkeit eines Bootes gehen mag, setzt der ältere Wassersportler mehr auf Technik und auf bording support. Hier wird deutlich, dass diese beiden Bedürfnisse oft nicht miteinander korrespondieren. Bei einem schnellen und durchgestylten Boot fehlt i.d.R. die altersgerechte Ausstattung und ein einigermaßen aufs Alter abgestimmtes Boot ist oft nicht „cool“ genug.

 

Aus der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes ist zu entnehmen, dass der Anteil der über 60-jährigen von 26,3 % im Jahre 2010 auf fast 39 % im Jahre 2050 ansteigt. In der gleichen Zeit geht der Anteil der 20- bis unter 60-jährigen von 55,3 % auf 45,1 % zurück (siehe hierzu Abb. 1).

 

Auch in den Niederlanden steigt die Anzahl der über 64-jährigen von 14,0 % im Jahre 2010 auf 26,1 % im Jahre 2050. Ebenso geht die Zahl der 20- bis 64-jährigen in der gleichen Zeit von 61 % auf 53 % zurück, wie das Centraal Bureau voor de Statistiek (CBS), Den Haag/Heerlen mit Stand vom 27.04.2013 prognostiziert. In diesem Zusammenhang muss man aber fairerweise sagen, dass die Niederlande entgegen dem europäischen Trend an Einwohnern zu nimmt. Die Anzahl von 16,7 Mio. der dort derzeit lebenden Menschen wird lt. CBS im Jahre 2050 auf rd. 17,8 Mio. Menschen ansteigen. Die Niederlande besitzt aber auch eine Fertilitätsrate von 1,75 und nicht wie die Bundesrepublik Deutschland von nur 1,34.

 

Diese negativen Trends gehen auch am Wassersport nicht vorüber. Insbesondere die Segler- und Motorboot(eigner)fahrer werden in den nächsten Jahren weniger und älter. Dies wurde auch auf der Konferenz zur boot 2013 deutlich gezeigt (siehe Abb. 2). Jüngere werden künftig ebf. weniger zu den Bootseignern zählen, da sie sich immer mehr um die im Alter wichtiger werdende Altersversorgung kümmern müssen. Wenn überhaupt die jüngere Altersgruppe dieser Wassersportart nachkommen will, dann mehr als Charterer. Zu stoppen sind diese Entwicklungen nicht, wohl aber zu gestalten und vor allem durch gezielte Anforderungen an den Bootsbau, damit diejenigen, die auch noch im Alter ein Boot als ihr Eigentum nennen wollen, nicht aus Frust und Ärger über eine nicht vorhandene altersgerechte Ausstattung ihr Hobby aufgeben - müssen. Die Forschungsvereinigung für die Sport- und Freizeitschifffahrt e.V. – FVSF, Köln hat festgestellt, dass fünf Jahre länger an Bord einem zusätzlichen Umsatzwert von 13 Mrd. Euro für die Wassersportwirtschaft in Deutschland entspricht. Somit müsste also auch die Wirtschaft daran interessiert sein, sich aufs „Älterwerden“ einzustellen.

 

In ihrem neusten Forschungsbericht Nr. 4 hat die FVSF die Folgerungen für den Bootsbau sehr detailliert beschrieben. Anhand verschiedener Altersgruppen wurden für Männer und Frauen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sportwissenschaften der Universität Kiel untersucht, welche Bandbreiten der körperlichen und mentalen Leistungen an Bord erwartet werden. So wurden u.a. folgende Aktivitäten untersucht:

 

                  - Sicheres Gehen und Arbeiten an Bord,

                - Steighöhen,

        - Schrittweiten,

                -  Treppen,

        - optimale Sitzhöhen,

               -   Kräfte und Leistungen beim Holen von Leinen,

       -  Arm- und Handkraft beim Heben und Drehen,

              -   Blickfeld und Beweglichkeit,

              -   Reaktionszeiten und Stress.

 

Beispielhaft werden im Folgenden einige Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt aufgeführt, die für die Bootsbauer zum Umdenken anregen sollten.

 

 

Auf der 5. Regionalkonferenz auf der MAGDEBOOT wurde deutlich gemacht, dass die Barrieren für Segel-Anfänger bisher nicht herabgesetzt wurden. Nun, ich würde hinzufügen, dass auch die meisten Werften von Motorbooten bzgl. einer altersgerechten Ausstattung noch nicht im heutigen Zeitalter angekommen sind.

 

Der Forschungsbericht der FVSF sagt klar, dass Segel- und Motoryachten auch von älteren Menschen bedient werden können, wenn die Boote altersgerecht konstruiert sind. Schon der Einbau von Querstrahlrudern, insbesondere in ältere Boote, führt verständlicherweise zu einer enormen Manövrierverbesserung. Es mag banal klingen, aber auch die Schlafmöglichkeiten sollten in der Höhe angepasst werden können und die Stauräume ohne Verbeugungen erreichbar sein. Vor allem der Sicherheitsaspekt an Bord und in der Marina spielt bei einem älteren Menschen eine wichtige Rolle. So ist es normal, dass das Wohnhaus eine sichere Haustüre besitzt. Gelten diese Voraussetzungen nicht auch für ein Boot?! Ohne hier auf eine altersgerechte Marina eingehen zu wollen, ist die Sicherheit an Bord eng mit der – in - einer Marina verbunden, z.B. sollten die Klampen und Poller in der Höhe beim An- und Ablegen gut erreichbar sein. Stege, die nicht breiter sind als ein Seesack, sind ebenso nicht akzeptabel (siehe hierzu Abb. 3 bis 6).

 

Mir ist bisher nur ein einziges Boot bekannt, dass vor allem auf Menschen mit einer Gehbehinderung abgestimmt ist: Es ist die Aquanaut 1500 Access ARON. Schon der Zugang an Bord wird mit einem Außenlifter sicher gestellt. Die Inneneinrichtung besitzt viele Hilfsmittel, die einen Aufenthalt auf dem Boot bequem macht. So ist die komplette Küchenzeile in der Höhe verstellbar und natürlich mit vielen Sitzmöglichkeiten und dem Cockpit auf einer Ebene. Der Weg in die Kabinen unter Deck ist ebf. mit Lifter möglich. Der Sanitärbereich besitzt ein höhenverstellbares Waschbecken sowie eine Waschliege. Neben der alters- und behindertengerechten Ausstattung ist das Boot auch noch mit einem 150 PS Perkins-Antrieb ausreichend motorisiert. Die Eignerin ist die niederländische gemeinnützige Stichting Aangepaste Watersport Friesland – SAWF in Lemmer, die besonders behinderten Menschen die Teilnahme am Wasserport ermöglichen will (siehe Abb. 7).

 

Mit dem Bau dieses Boot geht die friesische Werft aus Sneek sicherlich noch einen Schritt weiter, doch wird hierdurch deutlich, dass die oben beschriebenen Anforderungen der FVSF im Bootsbau nicht nur möglich sein sollten, sondern auch in naher Zukunft mehr zur Standardausrüstung gehören müssen.

 

Es ist erstaunlich, wie manche Bootsbauer ihre Neuigkeiten auf der hanseboot 2013 präsentierten. Von Umdenken oder Anpassung an die älter werdenden Wassersportler keine Spur. Ein Beispiel zeigt u.a. die neue LINSSEN 42 AC oder das neue Boot Velasco 43 von Jaenneau (Abb. 8 und 9). Steile und schmale Treppen scheinen normal zu sein! Selbst manche Redaktionen von Bootsmagazinen sind der Meinung, dass das Thema „Demografie“ nicht in ihr Portfolio passe, trotz Beteuerung der Wichtigkeit dieses Bereiches.

 

Wir dürfen gespannt sein, welche neuen Boote in den nächsten Jahren vom Stapel gehen und wie sich die Vercharterer auf einen älter werdenden Wassersportler einstellen.

 

Bildquellen (von links nach rechts folgend):

Abb. 1: eigen,  Daten siehe Text

Abb. 2 bis Abb. 6: FVSF - Forschungsbericht Nr. 4

Abb. 7: SAWF und Aquanaut

Abb. 8 und 9: Eigen